Neue Rheinische Zeitung Online-Flyer
vom 20. August 2008
Im Theater im Tunnel geht »Die
Brücke« in die dritte Spielzeit Das Wunder
von Remagen
Aus schwarz gewordenem Naturstein stehen
zwei turmartige Ruinen am Rhein: eine in Erpel, die zweite
auf der anderen Seite des Flusses in Remagen. Auf ihrer Spitze
flattern Fahnen: neben dem deutschen Schwarzrotgold das Blauweiß
der Stars and Stripes. Hier überquerten die amerikanischen
Truppen am 7. März 1945 erstmals den Rhein, ein Ereignis,
das unter dem Namen »Das Wunder von Remagen« in
die Geschichte einging und, so sind sich die Historiker einig,
den Krieg um etliche Monate verkürzte. Ein wichtiges
historisches Ereignis und ein guter Grund für ein Theaterstück
am Originalschauplatz.
Ruine der Ludendorffbrücke auf der Remagener Rheinseite
mit den Flaggen von Deutschland
und den USA | Foto: Norman Liebold
Walter Ullrich, Intendant der Landesbühne
Rheinland-Pfalz, verarbeitete die Geschehnisse um die Eroberung
der Brücke zu einem Theaterstück, das sich auf den
Roman «Die Brücke von Remagen« von Rolf Palm
stützt, aber auch das Wissen von Zeitzeugen nutzt. Die
Idee war, das Stück am Originalschauplatz aufzuführen,
dem Eisenbahntunnel, der von der Brücke in das Gestein
der Erpeler Ley führt. »Ich mache das Stück,
Sie machen den Tunnel«, hatte Ullrich zu Edgar Neustein
gesagt, der daraufhin im November 2005 den Verein »ad
Erpelle« gründete.
Mit der Summe von 32.000 Euro und unzähligen
Stunden ehrenamtlicher Tätigkeit wurde das klamme Loch
in das "Theater im Tunnel" verwandelt und die Uraufführung
des Stücks »Die Brücke« bereits im Oktober
2006 möglich gemacht. Die vorsichtig angesetzten fünf
Aufführungen im Jahre 2006 waren ausverkauft, 2007 waren
es 20, ebenfalls bis auf den letzten Platz gefüllte Aufführungen.
Am 15. August wurde das Stück für 2008 wieder aufgenommen
und wird bis zum 31. August gespielt.
Im Tunnel ist es kalt einige der
Zuschauer haben sich Decken mitgebracht, die sie sich um die
Schulter legen. Lockt draußen ein warmer Sommerabend
in die Biergärten, sind es im Inneren des Berges gerade
einmal zwölf Grad. Auch die Stimmung ist eine gänzlich
andere: Der Tunnel hat etwas von einer Katakombe: Backsteingemauert
hängt das Gewölbe über den Köpfen, und
darüber weiß man zigtausend Tonnen Basaltgestein;
er riecht leicht nach Moder und Salpeter. Gut zweihundert
Sitzplätze sind in den Tunnel gebaut worden, Baustrahler
malen Lichtflächen auf Backsteinrot und Betongrau. Der
Tunnel zieht sich in den Berg hinein, verliert sich 300 Meter
weit im Dunkel – eine Höhle, die hinter der Bühne
zu warten scheint und von der man nicht wissen kann, was sie
beherbergt.
Der Tunnel heute: Ein Theater - erste
Zuschauer suchen sich ihre Plätze | Foto: Norman Liebold
Als das Licht ausgeht und für einen
Moment Dunkelheit herrscht, wird es fast unheimlich. Ein perfekter
Ort, die Vergangenheit herauf zu beschwören und wirken
zu lassen. Ein einzelner Spot reißt einen scharf umrissenen
Lichtkreis aus dem Dunkel. Eine Landkarte ist aufgehängt,
rechts ein altes Plakat: »Klagt nicht, kämpft!«
steht in Fraktur darauf. Schritte nicht von der Bühne
schwere Stiefel kommen von hinten, vom Eingang her,
aus der Richtung der Ruinen. Im Kampfanzug, Stahlhelm auf
dem Kopf, tritt ein amerikanischer Soldat in den Lichtkreis
und beginnt zu sprechen.
Ein gewagter Anfang: Leutnant Karl Heinz
Timmermann, gespielt vom 29-jährigen Robert Christott,
spricht einen mehr als viertelstündigen Monolog, erklärt
die Situation, beschreibt Lage und Zustand der Kriegsfronten
übrigens in einer hervorragenden schauspielerischen
Leistung, wie auch die des restlichen Ensembles. Und es gelingt
Christott, dass das Publikum gebannt bis zum letzten Wort
lauscht. Denn, auch wenn er mit dem Zeigestock vor der Karte
steht, er hat nichts Lehrerhaftes: Da steht ein Mensch mit
einer Geschichte, und er zitiert kein Schulbuch, sondern schildert
persönliches Kriegserleben.
Timmermanns Vater war Deutscher, Deserteur
aus Liebe zu Maria, mit der er nach Amerika ging der
Sohn kommt als Soldat zurück, steht über dem Rhein,
erinnert sich, dass er hier schon einmal war auf den
Schultern des Vaters. »Riesengroß« hat er
genau an der Stelle schon einmal über das Rheintal geschaut.
Man nimmt Timmermann seine Geschichte ab. Wenn er erzählt,
wie er die Tür eines Hauses eintritt und den verängstigten
Bewohnern als Mensch begegnet, versucht, mit der Angst umzugehen
und das richtige zu tun, wirkt er authentisch. »Der Sohn
eines Deserteurs«, der zurückkehrend zeigen will,
was er kann, verhindert Heldenpathos von vornherein und macht
neugierig auf die Geschichten, die er zu erzählen hat.
Alltag im Tunnel: Kriegsanekdoten bei
zu dünnem Kaffee (Hitlerjungen und Flakhelfer
gespielt von Dollmann, Birkner Grosch, Musekamp, Ullrich)
| Foto: Friedhelm Schulz
Das vielleicht ist das Herausragende am
Stück. »Die Brücke« erzählt von Menschen:
Im Tunnel sitzen eine handvoll Wehrmachtssoldaten und Flüchtlinge,
während die Front der Amerikaner auf der anderen Seite
aufmarschiert. Mit schiefem Grinsen wird die Waffenliste durchgegangen:
Aus aller Herren Länder zusammengewürfelt italienische,
russische, tschechische Maschinengewehre, Granatwerfer, Panzerfäuste
nur leider keine passende Munition. Vom Volkssturm
sind gerade einmal zehn Leute aufgetaucht, und während
im »Soldatensender West« die Reichspropaganda von
Siegen und heldenhaften Schlachten kratzt und krächzt,
sitzt man hier im Tunnel und ärgert sich über zu
dünnen Kaffee, erinnert sich schwärmend an eine
Silvestertorte mit Marmelade aus der Erpeler Marmeladenfabrik.
Ein linientreuer Hitlerjunge wirft bei Mangel an Begeisterung
Wehrkraftzersetzung vor, ein anderer hat die Nase gestrichen
voll von Krieg und Führer und den ganzen Durchhalteparolen.
Bissig werden Materialmängel und sinnfreie Befehle kommentiert:
»Es wäre zum Lachen, wenn es nicht um den Endsieg
ginge.«
Doch niemand glaubt mehr an Endsiege,
man steht auf verlorenem Posten: Je drei Soldaten sind in
den Türmen der Ludendorffbrücke stationiert, während
von Meckenheim her die amerikanische Front näher rückt.
Die Situation im Tunnel ist glaubhaft, die Charaktere mit
Liebe fürs Detail gestaltet und mit Einfühlungsvermögen
gespielt. Das »Wunder von Remagen« ist kein Wunder,
es sind menschliche Schicksale, es ist Materialmangel, es
sind Verkettungen von zum Teil absurder Zufälle, wie
sie das Leben zu allen Zeiten und oft nicht ohne Humor
schreibt. Vielleicht dadurch wieder ein tatsächliches
Wunder, das den Krieg um Monate verkürzt und so unzählige
Menschenleben rettet.
Das Stück zeigt nicht zuletzt auch
die Absurdität des Kriegs und auf einer anderen Ebene
von Politik im Allgemeinen: So taucht zu Fuß und allein
ein Major Scheller gespielt von Matthias Kiel
auf und fordert von Hauptmann Bratge (Heiko Haynert) das Kommando
über die Brücke. Keiner weiß irgendetwas davon,
man schielt auf seine Hand, um vielleicht einen amerikanischen
Spion am links- statt rechtshändig getragenen Ehering
zu erkennen, fragt nach Papieren, Generälen und Unterschriften,
während die ganze Situation immer mehr ins Absurde abgleitet.
Befehlsrangeleien: Major Scheller (Mitte
Kiel) und Hauptmann Bratge (rechts Haynert) |
Foto: Friedhelm Schulz
Bratge und Scheller liefern sich schon
fast amüsante Rangeleien um die Befehlsgewalt: Während
Scheller die Brücke unbedingt offen halten will, weil
er an irgendwelche ominösen Truppenverbände glaubt,
die die Amerikaner wie zwischen »Hammer und Amboss«
zermalmen sollen, will der ehemalige Kommandeur Bratge die
Sprengung sofort vornehmen, weil er einsieht, dass hier nichts
mehr zu retten ist. Keine mit Pathos aufgeladenen Kämpfe,
hier werden sich Dienstvorschriften vorzitiert und auf Weisungen
des »Führers« gepocht und letztlich
wird das Gerangel gleich zwiefach in seiner ganzen Idiotie
gezeigt.
Lakonisch kommentiert einer der Soldaten:
Wird die Brücke zu früh gesprengt, wird er erschossen,
und wenn sie zu spät hochgeht, droht dasselbe. Vor dem
Hintergrund, dass vier von fünf Offizieren später
durch das »Fliegende Standgericht West« hingerichtet
wurden und der fünfte Hauptmann Bratge
nur überlebte, weil er sich in Kriegsgefangenschaft befand,
dringt hier die Bitterkeit des Krieges, ohne mit künstlicher
Betroffenheit eingehämmert zu werden, deutlich durch.
Im Publikum saß neben Abgeordneten von Bundestag und
Europaparlament auch Adele Zöllner, Augenzeugin der Hinrichtungen
in Oberirsen, was das Dargestellte für den Zuschauer
noch wiedererfahrbarer machte.
Als die Amerikaner schon auf der Brücke
stehen, lenkt Major Scheller endlich ein. Was jedoch nichts
ändert: Zuerst versagt die elektrische Zündanlage,
dann ist die Zündschnur 20 Meter zu kurz, und als schließlich
doch der Sprengstoff explodiert, zeigt sich, was der Sprengmeister
schon erklärt hatte: »Wir können froh sein,
dass wir überhaupt einen Knall gehört haben!«
Statt 600 Kilogramm Pioniersprengstoff waren nur 300 Kilogramm
»Donarit« vorhanden gewesen, was so viel bringt
wie »Scheibenkleister«. Die Finger in den Ohren
starren Soldaten, Volksstürmler und Flüchtlinge
ins Publikum und sehen, dass die Brücke sich hebt, wieder
senkt und schließlich unbeeindruckt stehen bleibt.
Sprengversuch. Zuerst funktioniert die
elektrische Zündanlage nicht, dann ist die Zündschnur
zu kurz, schließlich versagt erwartungsgemäß
der Sprengstoff | Foto: Rheinzeitung
Die Eroberung der Ludendorff-Brücke
geht jetzt schnell einen Augenblick später ist
eine Maschinengewehrsalve zu hören. Von einer der Wände
spritzt Gestein weg, Einschusslöcher sind zu sehen. Der
Spezialeffekt sitzt das Publikum fährt zusammen
und ist hellwach. Einer der Volkssturmleute sackt zusammen:
Willi Feldens, gespielt von Winfried Esch, einziges ziviles
Opfer der Aktion.
Und gleich darauf steht Leutnant Timmermann
auf der Bühne. Er spricht Englisch und zieht einen der
Hitlerjungen als Dolmetscher heran. Von dem symphathischen
jungen Mann, den das Publikum am Anfang kennenlernte, ist
zuerst wenig zu sehen. Mit vorgehaltener Waffe werden
hart, aber fair die Bedingungen der Gefangenschaft
laut Genfer Konvention erklärt, die Flüchtlinge
sollen nach Hause gehen, und als Hauptmann Bratge fragt, ob
er seine persönlichen Dinge holen könne, bekommt
er ein »Fuck off!« zu hören. Lacher aus dem
Publikum, als Bratge den dolmetschenden Jungen fragt, ob das
wohl eine Zustimmung sei.
An dieser Stelle kippt das durch seine
glaubhaften Charaktere und die realistische, angenehm unpathetische
Darstellung hervorragende Stück. Als nur noch der Hitlerjunge
Klaus (gespielt von Frank Musekamp) und Timmermann auf der
Bühne stehen, wird der Amerikaner zum Inbegriff der Menschlichkeit
und zum freundlichen Befreier stilisiert. Auf deutsch lobt
er den Hitlerjungen für seine Dolmetscherleistung, bietet
ihm einen Kaugummi an, erklärt dem bass erstaunten Jungen
in verschmitztem Kumpelton, dass »Timmermann«, wenn
man das »T« durch ein »Z« ersetzt, ja
»Zimmermann« hieße und gestattet der Mutter
des Jungen, ihn mit nach hause zu nehmen.
Blick aus dem Tunnel auf die Ludendorffbrücke
kurz nach der Einnahme |
Foto: William Spangle
Das ist ein wenig zuviel des Guten;
im Gegensatz zu dem sonst um historische Glaubwürdigkeit
bemühten Stück ist diese auffällige Szene nicht
belegt und wirkt gewollt. Allerdings ist das der einzige Moment
in dem 75 Minuten langen Stück, der in diesem Sinne aufstößt.
Und er wird aufgewogen durch ein Detail schon fast hinterhältiger
Art: Während Christott als Timmermann dem Stück
durch einen abschließenden Monolog einen Rahmen verleiht,
zitiert er Berthold Brecht mit »Das große Karthago
führte drei Kriege. Es war noch mächtig nach dem
ersten, noch bewohnbar nach dem zweiten. Es war nicht mehr
auffindbar nach dem dritten.« Mahnend erinnert er an
die beiden Kriege, die von deutschem Boden ausgingen und betont
vielleicht ein wenig lehrstückhaft, dass dies
nicht noch einmal geschehen dürfe. Ob es nun bewusst
gesetzt ist oder nicht, das Stück wird plötzlich
hochaktuell und gewinnt eine weitere Ebene weit über
die Bewussthaltung der nationalsozialistischen Verbrechen
hinaus, denn seit 1999 sind wieder deutsche Soldaten an Kriegen
beteiligt. (CH)
Text: Norman Liebold
©
2008 NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung
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