Blick aktuell Nr. 12 vom 20. März
2007
Tunnel unter der Erpeler Ley
diente
dem »Pilatus-Evangelium« als Theaterbühne
Nach dem Vorspiel »Die Nacht der
Ölbäume« setzte Walter Ullrich den »Kriminalfall
Jesu« in Szene
Nach den zahlreichen Aufführungen
»Die Brücke« der Landesbühne Rheinland-Pfalz
am Original-Schauplatz in 2006, die weit über die Region
hinaus für Aufsehen gesorgt hatten, und dem nicht minder
anspruchsvollen Kunstforum im Vorjahr hatte der Kultur- und
Kunstverein »ad erpelle« kürzlich erneut in
den Tunnel hinter den massigen Türmen der früheren
Ludendorffbrücke eingeladen. Dieses Mal zur Aufführung
des Kleinen Theaters Bad Godesberg, das das »Pilatus-Evangelium« nach Eric-Emmanuel Schmitt in der Inszenierung
von Walter Ullrich auf die Bühne brachte. Und dieser
Einladung waren zahlreiche Theaterfreunde gefolgt, darunter
die Bundestagsabgeordnete Sabine Bätzing, der Landtagsabgeordnete
Erwin Rüddel, Landrat Rainer Kaul und der 1. Kreisbeigeordnete
Heinz-Jürgen Scheid. Begrüßen zu der Premiere
konnte Bürgermeister Edgar Neustein in seiner Funktion
als Vorsitzender des Kulturvereins neben der 1. Beigeordneten
der Verbandsgemeinde, Cilly Adenauer, auch Vertreter der Banken,
die den Verein »ad erpelle« bei seinem kulturellen
Engagement finanziell unterstützen, sowie Vertreter der
Kunstforum-Organisatoren, des Vereins zur Förderung Junger
Kunst.
Der Kammerchor Sankt Pantaleon Unkel
kündigte den Himmelkönig mit dem Bachchoral stimmungsvoll
an.
»Ich freue mich aber vor allem, die
Künstler vom Kammerchor Sankt Pantaleon begrüßen
zu können, die sich unter Leitung von Martin Monter spontan
bereit erklärt haben, zunächst mit dem Choral Himmelskönig,
sei willkommen und nach der Pause mit dem Choral Jesus,
deine Passion auf die beiden Teile des Schauspiels einzustimmen«,
hob Edgar Neustein hervor. Ein so enger Bezug des Tunnels
wie zu »Die Brücke« bestehe zwar nicht, aber
auch unter der Erpeler Ley wären Menschen während
des Zweiten Weltkrieges, vergleichbar der Situation von Jesus
auf dem Ölberg, erfüllt gewesen von Todesangst und
tiefster Verzweiflung, erinnerte er.
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Eindrucksvoll spielte
Jürgen Clemens
die letzten Stunden von Jesus vor seiner
Verhaftung. |
Und auf genau so einen Menschen trafen
die Zuschauer. »Sie werden mich in einigen Stunden holen
kommen«, erklärte Jesus (Jürgen Clemens) im
Garten Gezemane auf dem Ölberg. Der Zimmermann streiche
schon sanft über das Kreuz, an dem er morgen verbluten
werde, sagte er seine Bestimmung voraus. Die war dem jungen
Nazarener aber lange nicht bewusst gewesen. Zwar war er schon
in frühster Jugend durch sein ständiges Hinterfragen,
etwa der Gesetze der Thora, aufgefallen, aber als Jude habe
er wie alle anderen in dem von den Römern besetzten Land
auf den Retter, den Messias gewartet.
Ein Schock war für den Menschensohn
der Tod seines Vaters Josef. »Seine Werkstatt wurde zum
Tempel meiner Tränen«, gestand er. Handwerklich
nicht gerade begnadet, habe er dann den Beruf des Vaters ausgeübt.
Höher angesehen war er als Gesprächspartner und
Gesetzesausleger, was den örtlichen Rabbi alles andere
als begeistert habe, berichtete Jesus, um dann die erste »Wende«
in seinem Leben zu erzählen. Nach dem Verlobungsessen
mit der schönen Rebecca sei ein hungriger Bettler an
den Tisch der glücklich Verliebten gekommen, aber von
dem Wirt sofort verjagt worden. »Bestens gesättigt,
wurde mir angesichts der noch mit Speisen bedeckten Teller
vor uns klar: Glück setzt voraus, dass man die Welt nicht
so sieht, wie sie ist«, erklärt er. Seine Schlussfolgerung:
Wichtiger als das trügerische Glück ist Liebe zu
allen Menschen.
Jesus löst die Verlobung und beginnt
zu suchen, noch ohne zu wissen wonach. Bis ihn sein Weg zu
seinem Vetter Johannes führt. Mitten im Jordan stehend
erkennt ihn der Täufer als Erwählten Gottes, als
»das Lamm, das die Welt von ihren Sünden befreit!«
Ein Schock für Jesus, der ohnmächtig zusammenbricht
und wieder bei Bewusstsein in die Einsamkeit fliehen will.
Aber immer mehr Menschen folgen ihm auf seinem Weg, der zur
Passion mit dem Tod am Kreuz führen wird. Diese Bestimmung
als Messias wird Jesus aber erst durch Judas Ischariot, seinen
liebsten Jünger, deutlich gemacht. Erst beim Abendmahl
nimmt er seine Bestimmung an, die nur durch den Verrat durch
Judas, der damit zum Werkzeug wird, umgesetzt werden kann.
Eindrucksvoll stellte Jürgen Clemens
in diesem »Rückblick« des Menschensohn die
Zweifel an der Bestimmung und die Angst Jesus vor der ihm
aufgebürdeten Aufgabe dar. »Rette mich«, bittet
er seinen himmlischen Vater, ein Schwanken, das schließlich
in dem Ausruf: »Vater, warum hast du mich verlassen?«
gipfelt und das erst mit der Verhaftung endet.
Der »verwirrte Magier« habe
die Folter ohne Regung zu zeigen ertragen, erinnert sich Pontius
Pilatus (Walter Ullrich) drei Tage nach der Kreuzigung, der
gerade seinem Schreiber Sextus (Fritz- Peter Schmidle) den
Bericht über das Pesachfest für Rom diktiert. »15
Festnahmen, drei Kreuzigungen, nichts Außergewöhnliches,
alles fest im Griff«, analysiert er zunächst die
Ereignisse. Aber auch wenn er seine Hände in Unschuld
gewaschen hat, der von ihm veranlasste Tod eines Unschuldigen
bewegt den römischen Präfekten doch.
Gerade hat Pilatus diese Gedanken mit
dem Hinweis »Ich habe alles getan, um ihn zu retten«
beiseite geschoben, als die Nachricht vom Verschwinden der
Leiche eintrifft: Der »Kriminalfall Jesus« beginnt.
In kurzen, durch die Verdunklung des Arbeitszimmers angedeuteten
Sequenzen wird dem Zuschauer die »Eskalation« in
den Briefen nach Rom und den Besprechung mit Sextus vor Augen
geführt. Als rational denkender Beamter des Weltreichs
»wittert« Pilatus die mit der »Auferstehung«
immanente Gefahr für Rom. Wenn die Leiche nicht schnell
gefunden wird, kann die »Glaubensbewegung« zum Aufstand
führen und dafür gibt es mehrere potenzielle Rädelsführer.
Die völlig verängstigten Jünger scheiden nach
einem Verhör als Grabräuber schnell aus. Dann aber
soll Jesus sogar gesehen worden sein. »Ein dummes Gerücht
oder ein hochstaplerischer Doppelgänger«, ist sich
Pilatus sicher.
Diese Sicherheit aber wird immer mehr
erschüttert. Die kriminalistische Untersuchung, bis hin
zur genauen Rekonstruktion des Kreuzestodes und der dabei
möglicherweise gemachten »Fehler«, wird immer
mehr zum Kampf des Verstandes gegen ein übernatürliches
Phänomen, bei dem Pilatus mehr hoffend als sicher noch
an den Sieg der Logik glaubt.
Wochen später: Während aus den
verängstigten Jünger sichere, fröhliche Menschen
geworden sind, die die »Frohe Botschaft« verkünden,
sieht sich der Zuschauer einem völlig verwirrten Pilatus
gegenüber. All seine Hypothesen haben einer Überprüfungen
nicht Stand gehalten, der Fall des Gekreuzigten ist nicht
gelöst. »Es gibt etwas Nicht-zu-Verstehendes«,
muss der Realpolitiker sich eingestehen. Obwohl Jesus den
»Fehler« gemacht hat, nicht die wichtigen Leute
auf seine Seite zu ziehen, sondern dummen Fischern seinen
Glauben beigebracht hat, diese Religion von der Nächstenliebe
beginnt weite Kreise zu ziehen. In Ohnmacht seiner geistigen
Fähigkeiten, dieses Mysterium rational zu begreifen,
fragt sich Pilatus: »Was aber wird aus uns, wenn sich
alle Menschen lieben, wie der Magier gepredigt hat?«
Text und Fotos: -DL-
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