General-Anzeiger Bonn vom 18. März
2008
Bewegendes Theater im Erpeler Eisenbahntunnel
Nach den großen Erfolgen mit
den Aufführungen der "Brücke" im Tunnel
wagt der Kulturverein "ad erpelle" nun ein neues
Experiment und es funktioniert
"Himmelskönig, sei willkommen",
stimmt der Kammerchor Sankt Pantaleon unter Leitung von Kirchenmusiker
Martin Monter den Choral von Johann Sebastian Bach an. Aber
der Mann, der sich dann auf der Bühne im früheren
Eisenbahntunnel hinter den Erpeler Brücken-Türmen
als Jeschua vorstellt, zeigt sich in einem bewegenden Monolog
weniger als der Erlöser, sondern vielmehr als ein ganz
normaler Mensch, der voller Angst seinem nahen Tod entgegen
sieht.
"Die Landesbühne Rheinland-Pfalz
hat vor zwei Jahren hier am Originalschauplatz das Schauspiel
Die Brückeaufgeführt. Heute wagt der
Erpeler Kunst- und Kulturverein ad erpeleein Experiment.
Wieder ist Walter Ullrich zu Gast, dieses Mal mit dem Kleinen
Theater Bad Godesberg und dem Schauspiel Das Pilatus-Evangelium."
Sichtlich begeistert begrüßte
Bürgermeister Edgar Neustein die Premierengäste.
Willkommen heißen konnte Neustein auch Vertreter der
Banken, die den Verein finanziell unterstützen, sowie
Mitglieder des Vereins zur Förderung Junger Kunst, mit
denen "ad erpelle" im Vorjahr ein Kunstforum organisiert
hatte.
"Ich bin sicher, dass der Tunnel,
in dem während des Krieges Menschen in Angst und Verzweiflung
Schutz gesucht haben, auch für die Aufführung dieses
Stückes ein adäquater Ort ist", betonte Neustein.
Dem Kammerchor dankte er für die Bereitschaft, das Publikum
auf das Stück einzustimmen.
|
Einstimmung:
Der Kammerchor
Sankt Pantaleon Unkel
singt zu Beginn der beeindruckenden
Aufführung |
"Sie werden mich in einigen Stunden
holen kommen. Der Zimmermann streicht schon sanft über
das Kreuz, an dem ich morgen verbluten werde", erklärt
Jeschua auf dem Ölberg im Garten Gezemane, bevor er sein
Leben Revue passieren lässt. Anders als die anderen Jungen
in Nazareth, weil alles hinterfragend, war er schon. Dann
aber zeigt er "normale Regungen", er verliebt sich.
Beim Verlobungsessen bringt ein Bettler die erste wirkliche
Wende. Satt vor den immer noch vollen Tellern sitzend, erkennt
Jeschua: "Glück setzt voraus, dass man die Welt
nicht so sieht, wie sie ist!"
|
Bewegendes
Theater
an ungewöhnlichem Ort: die Aufführung
des "Pilatus-Evangeliums" in Erpel. |
Diesem trügerischen Glück stellt
er die Liebe entgegen, die alle Menschen, auch Gegner wie
die römischen Besatzer, einschließt. Die Gefahr
der christlichen Religion für alle Machthaber ist damit
zwar "geboren", als Erlöser sieht sich Jeschua
aber immer noch nicht. Wie alle Juden wartet er auf den Messias.
Dann der Schock: Sein Vetter, Johannes
der Täufer, begrüßt ihn mitten im Jordan als
den Erwählten Gottes. Jeschua bricht während der
Taufe entsetzt zusammen und flieht dann in die Wüste.
Ohne allerdings die ersehnte Einsamkeit zu finden. Immer mehr
Menschen schließen sich ihm an. Sein zweijähriger
"Weg zum Kreuz" hat begonnen, auch wenn ihm das
Judas Ischariot erst noch klar machen muss. Ihn benutzt Jeschua
beim Abendmahl als "Werkzeug", denn erst durch den
Verrat kann er den Willen des Vaters erfüllen, auch wenn
er ihn verzweifelt fragt: "Warum hast du mich verlassen?"
Szenenwechsel nach diesem tief beeindruckenden
Auftritt von Jürgen Clemens. Drei Tage nach der Kreuzigung
im Palast von Pontius Pilatus (Walter Ullrich): Letzterer
diktiert Schreiber Sextus (Fritz-Peter Schmidle) den Bericht
über das Pesachfest. "Drei Kreuzigungen, einige
Verhaftungen, alles blieb ruhig", so Pilatus sachlich.
Aber seine Gelassenheit täuscht.
Zwar hat er seine Hände in Unschuld gewaschen, der Tod
des "Magiers" hat ihn aber doch berührt. Bei
allem politischen Kalkül, Pilatus ist in dem Schauspiel
nach Eric-Emmanuel Schmitts Vorlage kein gewissenloser Schreibtischtäter.
Rational denkend wird er erst wieder,
als die Nachricht vom "Verschwinden der Leiche"
im Palast eintrifft, wittert er doch Gefahr. Fieberhaft lässt
Pilatus nach dem Leichnam suchen. Aber je mehr seine Untersuchungen
fortschreiten, um so dichter wird das Mysterium. Er kann den
"Fall Jeschua" nicht lösen. "Sollte es
tatsächlich etwas Nicht-zu-Verstehendes geben?"
- eine Frage, die die Menschen immer noch bewegt. Und eine
sehenswerte Inszenierung, in der sie gestellt wird.
Text: Horst-Dieter Küsters / Fotos
Frank Homann
<<< zurück
zur Übersicht
|