General-Anzeiger Bonn vom 29./30. Juli
2006
Der Tunnel wird zur Theaterbühne
Das Landestheater Rheinland-Pfalz bereit
das Stück "Die Brücke" vor, das im Oktober
zur Aufführung kommt Bewohner der Jugendwohneinrichtung
St. Sebastian putzen die Röhre
An Kai Beckers Arbeitshose steckt eine Stabtaschenlampe.
Für eine Woche taucht der 17-Jährige mit fünf
weiteren Bewohnern und zwei Betreuern der St. Sebastianus-Jugendwohneinrichtung
Oberdollendorf ab. Ins Dunkel, in einen Tunnel
333 Meter lang und fast acht Meter breit, einen Steinwurf
weit entfernt von den grauschwarzen Pylonen, den Überresten
der einstigen Ludendorffbrücke zwischen Erpel und
Remagen.
Am 7. März 1945 stand diese zweigleisige Eisenbahn-Rheinbrücke
im Mittelpunkt der Weltgeschichte.
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Bühnenbau: Jugendliche aus
Dollendorf arbeiten im Erpeler Tunnel und bereiten den
Boden für das Theaterstück "Die Brücke",
das im Oktober zur Aufführung gelangt |
Damals gelang es den Amerikanern, die
Brücke einzunehmen und hier den Fluss zu überqueren.
Damit wurde nach Meinung von Historikern der Zweite Weltkrieg
um Monate verkürzt. Zehn Tage nach der Eroberung stürzte
das Bauwerk ein; somit verlor auch der Eisenbahntunnel seine
Funktion.
Eine Champignon-Zucht wurde in der finsteren
Röhre betrieben, das Institut für Geodäsie
der Bonner Uni unterhielt hier eine Messstation für Erdgezeiten.
Nun hat Erpels Bürgermeister Edgar Neustein das Tor am
Tunnelmund wieder aufgestoßen. "Kann ich helfen?
" ruft Sabrian Ramadan Djemaj einem "Lichtpünktchen"
entgegen.
Jörg Preßer jongliert von weit
hinten eine Schubkarre über den Mittelsteig, der noch
aus jenen Steinen besteht, die vor genau neunzig Jahren eingelassen
wurden, als der Tunnel durch den Felsen der Erpeler Ley getrieben
wurde. Rechts und links dieses Steigs lockerer Boden, in denen
einst die Gleisbetten lagen. Djemaj, der kräftige 17-Jährige,
der mit seiner Familie vor dem Krieg aus dem Kosovo flüchtete,
packt mit an. Mit seinem Betreuer entlädt er vor dem
Portal des Tunnels die Karre.
Schon ein ganzer Berg aus Drahtmattenstücken
hat sich angesammelt. Es sind die Überreste des "Pilz-Feldes".
Über die ganze Breite spannen sich diese Netze über
dem Boden in einem Sektor des Tunnels. Die Jungs aus dem St.
Sebastianus-Haus räumen sie nun weg. Die Röhre wird
geputzt. Denn: Die Geschichte kehrt zurück. Im Oktober
führt das Landestheater Rheinland-Pfalz an diesem Originalschauplatz
das Stück "Die Brücke" auf.
Damit geht ein Traum von Edgar Neustein
in Erfüllung: Der Eisenbahntunnel wird Theater. Mit einem
Kreis von Vertrauten hatte der Bürgermeister das Projekt
erwogen, der Chef der Landesbühne Rheinland-Pfalz, Walter
Ullrich, gehörte mit zur Ideen-Schmiede. Ergebnis: 2005
gründete sich der Verein "ad Erpelle Kunst- und
Kulturkreis" mit mittlerweile 106 Mitgliedern. Viele
packen mit an. Nun auch die Oberdollendorfer Jugendlichen:
"Wir möchten dieses Vor haben unterstützen",
so Betreuer Heinz-Willi Euskirchen (42). "An einem historischen
Ort haben unsere Jugendlichen Geschichte zum Anfassen, sie
werden an eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung, an Arbeit
herangeführt, können dabei ihre Persönlichkei,
entwickeln", schwärmt Euskirchen. "Die Jugendlichen
lernen, was sie schaffen können, stärken dadurch
ihr Selbstbewusstsein, arbeiten mit Maschinen. Es ist endlich
einmal ein Projekt für Jungs", ergänzt sein
Kollege Jörg Preßer (36).
Vor dem Einsatz haben sie über das
Geschehen rund um die Remagener Brücke gesprochen und
Fotos angesehen. "Im Geschichtsunterricht habe ich über
den Zweiten Weltkrieg etwas gelernt", berichtet Nilo
Moreira Gaspar. Erst vor einem Jahr ist er ganz allein von
Angola nach Deutschland gekommen. Er besucht die Oberpleiser
Hauptschule. "Das ist einfach cool hier. Die Arbeit macht
Spaß", findet der 17-Jährige. "Ich habe
gehört, dass im Krieg hier viele Menschen aus dem Ort
Schutz vor den Bomben gesucht haben." Das kann Edgar
Neustein nur bestätigen. "Die Leute haben sich in
die Nischen gezwängt, die eigentlich für die Streckenarbeiter
vorgesehen waren." Die Jugendlichen sind beeindruckt
von der Geschichte, von der Größe des Tunnels,
von der fast mystischen Dunkelheit, die punktuell von einem
Scheinwerfer durchdrungen wird. Der Generator rattert. "Das
ist spannend und ein gutes Gefühl, hier mitarbeiten zu
können", meint Sabrian Ramadan Djemaj. Die Arbeit
ist jetzt für mich die Nummer eins", sagt der künftige
Abendrealschüler.
Er packt die Flex an und schneidet weiter
Draht auseinander. Die Funken sprühen. Berufs-Kolleg-Schüler
Kai Becker lädt die Teile auf die Karre. Er ist froh,
sich für diesen Einsatz entschieden zu haben. Als er
den Müll durch das Tor schiebt, schlägt ihm die
Hitze entgegen. Im Tunnel ist es angenehm kühl. Alfonso
Escobar aber klebt das Hemd am Rücken, die Haare sind
pitschnass. Denn der 15-jährige Realschüler flämmt
Graffitispuren am äußeren Tunneleingang ab.
Die Sonne brennt. Es ist noch viel zu
tun. Im Außenbereich werden die Jugendlichen Gräben
ausheben. Die Tunnelwände müssen gesäubert
werden. Der Eingang wird erweitert. Lüftungsanlagen und
Stromanschluss sind erforderlich. Ein Betonboden soll gegossen
werden, um einen festen Boden zu haben für den Aufbau
von Bühne und Sitzreihen für 200 Besucher. Im Foyer
wird es eine Brücken-Ausstellung geben. Und dann eben
im Oktober die Tunnel-Theater-Premiere mit "Die Brücke".
"Das gucke ich mir auf alle Fälle an", sagt
Sabrian. Und die anderen sind bestimmt ebenfalls mit im Boot,
wie jetzt, wenn sie nach der Arbeit auf die Erpeler Ley steigen,
Kanu fahren oder mittags bei Bürgermeister Neustein sitzen,
dessen Frau für alle gekocht hat.
Text: Roswitha Oschmann / Foto Frank Homann
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